Interview mit dem Comedian Natan Bilga

“Meine Mama würde einen Nervenzusammenbruch bekommen, wenn ich eine Davidstern-Kette trage.“ - Natan Bilga über Heimat, jüdische Identität und wie daraus ein Witz entsteht.

Seine erste Comedy-Show im Fernsehen hat der Münchner Comedian Natan Bilga mit neun Jahren zusammen mit seinem Papa und Onkel in Moldawien geschaut. Der Moderator: ein circa 60-jähriger Mann, der von seinem Zettel Witze über russische Mentalität und Kultur abliest. Und obwohl Natan inhaltlich nicht viel verstanden hat, ließ ihn diese Art der Kunst nicht mehr los.

“Mich hat das so abgeholt, dass der so eine krasse, heftige Reaktion auslösen konnte in meinen männlichen Vorbildern, dass das mich so magisch mitgenommen hat.”

Bildnachweis: Andreas Huber

16 Jahre später steht der 25-Jährige regelmäßig auf den Bühnen der Münchner Comedy-Clubs, etwa in Michael Mitter- meiers Lucky Punch, und schreibt Gags für Radio- und TV-Produktionen. Was für ihn gute Stand-Up-Comedy ausmacht, sind die Faktoren Albernheit, Ehrlichkeit und Intimität.

"Stand-Up erlaubt dem Künstler, der Künstlerin intim mit der eigenen innersten Welt umzugehen und sie nach außen zu tragen, ohne Filter. Sachen, die ich durch Comedy verarbeiten kann. Ich versuche auch ehrlich zu sein bei meinen Shows. Es geht viel um Herkunft, darüber, dass ich aus Moldawien komme, darüber, dass ich jüdisch bin, darüber, dass meine Ex-Freundin Deutsche war und ich das erste Mal mit ihrer Familie zusammen Weihnachten gefeiert habe. Klassismus ist ein Ding.”

Lange hat sich Natan bei seinen Auftritten nicht an das Thema Jüdischsein herangetraut.

“Es ist ein sehr sensibles Thema und man muss sich erstmal seiner eigenen Haltung zu vielen Fragen bewusst werden. Wo in dieser jüdischen Welt bin ich? Wo in Deutschland habe ich meinen Platz? Aber auch: Wie findet das Jüdischsein in mir drin überhaupt statt?”

Da er selbst säkular aufgewachsen ist und dadurch ein genauer jüdischer Bezugspunkt gefehlt hat, waren diese Fragen zunächst schwer zu beantworten.

Seine eigene Bar Mitzvah vollzog Natan bei der orthodoxen Gemeinde Chabad Lubawitsch in München. Für ihn ein toller Ort, wo er als Jude herzlich aufgenommen wurde. Dennoch merkte der Comedian schnell, dass das nicht der Platz ist, wo er sich komplett fallen lassen kann.

“Ich habe gemerkt, das ist nicht der Raum, in dem ich mich rein von den Menschen her am wohlsten fühle. Die Räume, in denen ich mich am wohlsten fühle, sind die, wo nicht alle dieselben Religion oder dieselbe Herkunft haben.”

Auch innerhalb seiner Familie ist das Verhältnis zum Judentum ambivalent: Seine Schwester hat den jüdischen Kindergarten der Münchner Kultusgemeinde besucht. Aus Furcht vor antisemitischen Angriffen erlaubt seine Mama ihren Kindern jedoch nicht, den Davidstern oder andere jüdische Symbole zu tragen.

“Meine Mama würde einen Nervenzusammenbruch bekommen, wenn ich eine Davidstern-Kette trage, weil sie Angst hat.”

Natan Bilga empfindet Jüdischsein in Bayern grundsätzlich als herausfordernd, was allerdings den Zusammenhalt untereinander stärkt.

“Ich glaube, es ist wie bei allen Minderheiten auch bei der jüdischen Gemeinschaft so, dass die Politik nicht so sehr auf uns aufpasst, weshalb wir das untereinander machen müssen.”

Ungeachtet dessen ist für ihn München sein Zuhause. Er liebt diese Großstadtinsel mitten im sonst eher konservativen Freistaat mit ihrer Kunst, ihrer linken Szene und ihrer bunten Geschichte. Den Begriff Heimat sieht Natan grundsätzlich eher kritisch.

“Heimat ist schwierig. Ich bin eher beim Wort Zuhause angekommen, weil das das Ganze etwas kleiner fasst und ich Zuhause von den Menschen abhängig machen kann. Aber wenn man will: Heimat ist da, wo ich weiß, die Menschen um mich herum sind da für mich und wollen mir nichts Böses. Für Menschen mit Migrationsgeschichte ist das tendenziell in Bayern beziehungsweise in Deutschland leider oft schwierig. Es braucht Veränderungen, damit diese Personen sich hier mehr zuhause fühlen können.”

Bildnachweis: Natan Bilga

Abseits von Diskriminierungserfahrungen bezüglich seiner Herkunft ist Natan auch schon immer mit Antisemitismus konfrontiert.

“Letzte Woche in München zweimal. Damals in der Schule und auch im Fußballverein. Das ist so der klassische Ort für jüdische Jungs für Antisemitismus, der Fußballverein. So mit zwölf ist es normal, gegenseitig Witze über die Herkunft der anderen zu machen. Ich war eben der Jude, der türkische Mitspieler war der Türke und so weiter. Aber was mich echt getroffen hat, waren die bösen Blicke von Mitspielern, die wirklich was gegen Juden hatten.”

Ebenfalls muss sich Natan fast täglich mit Fragen von anderen rund um das Judentum und dahingehend meistens bezogen auf die Shoah stellen.

“Es kann in einem sozialen Kontext immer wieder passieren, dass man sich äußern muss zu Fakten, die man vielleicht gar nicht hat. Das Hauptthema in meinem Leben als Natan Bilga ist nicht die Shoah. Juden sind nicht euer Privatlexikon. Generell Menschen mit Migrationshintergrund etc. sind nicht euer Privatlexikon für diese Themen. Immer, wenn wir auf so etwas antworten, dann ist das Kulanz.”

Außerdem betont Natan, dass jüdische Geschichte in Deutschland nicht nur die NS-Zeit und der Holocaust waren, sondern auch die rund 1700 Jahre davor und die 80 Jahre danach.

“Das jüdische Leben in Deutschland vor der Shoah war so bunt und so aufregend. Aber auch heute haben sie ein Leben abseits der Shoah. Es wäre auch mal gut, Juden und Jüdinnen zu sehen, wie sie einfach nur chillen und bayerische Luft atmen.”

Hier geht es zu Natan Bilgas Instagram-Profil.

Das Interview führte Katharina Bawidamann.

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