„Hier nun stehe ich mit vielen Söhnen des Südens …“

Bayerische Rabbiner im Amerikanischen Sezessionskrieg 1861-1865.

Beitrag von Patrick Charell M.A., Projekt "Jüdisches Leben in Bayern", Haus der Bayerischen Geschichte

Das Bayerische Judenedikt des Jahres 1813 brachte neben vielen Verbesserungen auch große Nachteile mit sich. Zu den Schattenseiten gehörte zweifellos ein „Matrikelparagraph“ (§ 12), der für jeden Ort nur eine bestimmte Anzahl an jüdischen Haushalten vorsah: Obwohl bayerische Jüdinnen und Juden nun endlich gleichberechtigte Staatsbürger waren, wollte man im Allgemeinen ihren Bevölkerungsanteil konstant halten oder nach Möglichkeit sogar reduzieren. In den 1830er Jahren setzte daher eine große Auswanderungswelle nach Osteuropa und Nordamerika ein, die sich bis in das 20. Jahrhundert hinein fortsetzen sollte.

Deutsche Migranten spielten in der Frühzeit des US-amerikanischen Judentums eine entscheidende Pionierrolle. Es gab zwar schon 1654 in Neu Amsterdam – dem späteren New York – eine erste jüdische Gemeinschaft, und 1762 wurde auf Rhode Island das älteste jüdische Gotteshaus der Vereinigten Staaten eingeweiht. Trotzdem entstanden erst ab 1825 nennenswerte organisatorische Strukturen, als mit der Zuwanderung aus Russland, den deutschen Staaten und Österreich-Ungarn der jüdische Bevölkerungsanteil sprunghaft auf rund 150.000 Personen anstieg.

Im Auftrag der US-Regierung kam 1840 der aus Gochsheim in Unterfranken gebürtige Rabbiner Abraham Josef Reiss (1802-1862) nach New York, um den Aufbau organisierter Kultusgemeinden zu unterstützen. Nach mehreren gescheiterten Versuchen übernahm er die Gemeinde „Nidche Israel“ in Baltimore, Maryland. Reiss gründete dort 1845 ein großes neues Gemeindezentrum mit Synagoge, Mikwe und der ersten Jeschiwa des Landes. Als „Chief Rabbi of the United States“ blieb er bis zu seinem Tod die einzige allgemein anerkannte Autorität in jüdischen Religionssachen. Sein Nachfolger in Baltimore wurde der 1855 eingewanderte Rabbiner Dr. David Einhorn (1809-1879) aus Diespeck in Mittelfranken. Einhorn verfasste das englisch-deutsche „Olat Tamid: Gebetbuch für Israelitische Reform-Gemeinden“ (Baltimore 1862), das weite Verbreitung fand und oft neu aufgelegt wurde.

An der Frage der Sklaverei sowie weiteren unüberbrückbaren politischen Differenzen entzündete sich im Frühjahr 1861 der US-amerikanische Bürgerkrieg, auch Sezessionskrieg genannt. Die jüdische Bevölkerung in den Nordstaaten (Union) und Südstaaten (Konföderation) zeigte in diesem Konflikt keine einheitliche Haltung. Als zahlenmäßig schwächste Minderheit blieb sie entweder neutral oder übernahm die jeweils vorherrschende Meinung. David Einhorn war jedoch ein überzeugter Abolitionist (von engl. abolition = Abschaffung), obwohl Maryland zu den Südstaaten gehörte: „Weil das Erste Gebot mit den Worten beginnt – Ich bin der HERR, dein Gott, der dich aus dem Land Ägypten geführt hat, aus dem Sklavenhaus – kann die Versklavung eines Menschen nicht Gottes Wille sein“.

Einhorn prangerte die Verteidiger der Sklaverei in seinen öffentlichen Predigten derart schonungslos an, dass sein Aufenthalt in Baltimore äußerst gefährlich wurde. Als in der Nacht des 22. April 1861 ein Mob sein Haus belagerte und ihn lautstark Teeren und Federn wollte, floh er mit seiner Familie nach Philadelphia. Inzwischen kochten auch die alten antisemitischen Verschwörungstheorien aus Europa wieder hoch: Juden seien Kriegsgewinnler und Spekulanten, würden sich vor dem Wehrdienst drücken und mit dem Feind paktieren. Der Oberbefehlshaber der Unionsarmee, General Ulysses S. Grant (1822-1885) plante sogar die Deportation aller jüdischen Einwohner aus den frontnahen Grenzstaaten, was jedoch Präsident Abraham Lincoln (1809-1865) energisch verhinderte.

Lincoln wollte die vielen unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen in einer geeinten Nation zusammenzuschmieden. Schon vor dem Abfall der Südstaaten hatte er auf die vorher üblichen Floskeln eines „Christlichen Amerikas“ zunehmend verzichtet, sondern bezog sein Verständnis von Demokratie auf allgemeine humanitäre Werte und Freiheitsrechte. Am 19. November 1863 fasste er diesen Anspruch in der Gettysburg Address, seiner berühmtesten Rede zusammen: „Vor viermal zwanzig und sieben Jahren gründeten unsere Väter auf diesem Kontinent eine neue Nation, in Freiheit gezeugt und dem Grundsatz geweiht, dass alle Menschen gleich geschaffen sind“. Daher lag Lincoln auch die Emanzipation der jüdischen Staatsbürger besonders am Herzen. Bislang hatte die Regierung nur christliche Feldgeistliche zugelassen. Der Kongress folgte nun einem Vorschlag des Präsidenten und ermöglichte mit einer Gesetzesänderung am 17. Juli 1862 „die Bestallung von Brigadeseelsorgern der katholischen, protestantischen und jüdischen Religionen“. Die ersten dieser US-Militärrabbiner kamen ebenfalls – aus Bayern.

Den Anfang machte Jacob Fränkel (1808-1887, angl. Frankel), der aus Grünstadt in der bayerischen Rheinpfalz stammte und bereits als Vorsänger (Chasan) gewirkt hatte, ehe er in die USA auswanderte. Er wurde zunächst Vorsänger und dann Rabbiner der Reformgemeinde „Rodeph Shalom“ in Philadelphia, bis er am 18. September 1862 seine Bestallung von Lincoln persönlich erhielt. Ihm stand schon bald Baruch Hirsch Gotthelf (1816-1878) zur Seite, der seinen Vornamen zu „Bernhard Henry“ anglisiert hatte. Gotthelf war im schwäbischen Kleinerdlingen zur Welt gekommen, wo seine Familie seit mehreren Generationen das Amt des Vorsängers und Schächters (Schochet) innehatte. Er führte diese Tradition weiter, siedelte aber um 1840 mit Frau und Kindern nach Amerika über. Dort lebte er zunächst in Baltimore und Philadelphia, dann übernahm er 1848 die überwiegend deutschsprachige Gemeinde „Adath Israel“ in Louisville, Kentucky. Wohl zum Jahreswechsel 1863 wurde er Militär-Rabbiner der Union.

Fränkels und Gotthelfs Gegenpart aufseiten der Konföderierten war ebenfalls ein Bayer: Maximilian Joseph Michelbacher (1810-1879) aus Oettingen, der zunächst als Lehrer und Handlungsvertreter im pfälzischen Kreuznach arbeitete, bis er 1844 in die USA auswanderte. In Richmond, der Hauptstadt von Virginia, wurde er Rabbiner der reformierten und deutschsprachigen „Beth Ahaba Congregation“. Trotz fehlender rabbinischer Ausbildung schätzte man ihn dort als charismatischen Prediger. Während des Bürgerkrieges avancierte Michelbacher zum offiziellen Militär-Oberrabbiner der „soldiers of the Jewish persuasion“ (General Robert E. Lee). Er verfasste auch ein offizielles Gebet für die Soldaten an der Front, das seine persönliche Einstellung widerspiegelt: „Dieses einst so glückliche Land wird von der Flamme des Krieges verzehrt; ein schrecklicher Feind hat sich erhoben gegen die Rechte, Privilegien und die Freiheit dieser unserer Konföderation [...] unsere Linien sind bedrängt, der Feind steht vor uns [...] Hier nun stehe ich mit vielen Söhnen des Südens, um dem Feind entgegenzustehen, ihn zurückzuwerfen und unsere natürlichen Rechte zu verteidigen“.

Der Bürgerkrieg endete am 9. April 1865 mit dem Fall der Südstaaten-Hauptstadt Richmond. Über 600.000 Menschen hatten ihr Leben verloren, zehntausende blieben an Leib und Seele verstümmelt. Präsident Lincoln hatte den Krieg zwar gewonnen, doch den tiefen Hass zwischen den beiden Landesteilen konnte er nicht mehr überwinden: Er wurde am 15. April 1865 durch die Kugel eines fanatischen Südstaatlers ermordet. Bis heute spaltet dieser alte Konflikt die amerikanische Gesellschaft und tritt in den letzten Jahren wieder offener zutage.

Jacob Fränkel war drei Jahre lang Feldgeistlicher und widmete sich anschließend wieder mit ganzer Kraft seiner Gemeinde in Philadelphia. Für das jüdische Selbstbewusstsein der USA bleibt er bis heute eine bedeutsame historische Persönlichkeit. Bernhard Henry Gotthelf wirkte ab 1866 als Rabbiner der Gemeinde „Anshe Chesed“ in Vicksburg, Mississippi. Er starb 1878 während einer Gelbfieberepidemie. Maximilian Joseph Michelbacher konnte nach einem Schlaganfall 1868 nicht mehr als Rabbiner tätig sein. David Einhorn lebte ab 1866 bis zu seinem Tod in New York. Sein Schwiegersohn und Nachfolger Kaufmann Kohler (1843-1926) verfasste mit dem „Programm von Pittsburgh“ die anerkannte Grundlage des liberalen US-amerikanischen Judentums.

Literatur:

Jacob Rader Marcus / Jeffrey S. Gurock (Hg): The American Rabbinate. A Century of Continuity and Change 1883-1983. Hobocken 1985. (Englisch)

Jonathan D. Sarna / Benjamin Shapell: Lincoln and the Jews. A History. New York 2015. (Englisch)

Digital:

Brief des Oberkommandierenden der Südstaaten-Armee General Robert E. Lee an Rabbiner Maximilian Michelbacher, in dem er einen vorgeschlagenen Heimaturlaub für alle konföderierten Soldaten jüdischen Glaubens zu den hohen Festtagen ablehnt, 19. August 1861. Digitalisat und Transkript der Shapell Manuscript Foundation (SMC 2494), online unter: https://www.shapell.org/manuscript/robert-lee-furloughs-jewish-soldiers/ [Zugriff: 29.05.2024].

Patrick Charell: Abraham Joseph Reiss (Rice). Erster offizieller Rabbiner in den USA. In: Haus der Bayerischen Geschichte (Hg): Digitale Plattform „Jüdisches Leben in Bayern“. Online Unter: https://hdbg.eu/biografien/detail/maximilian-joseph-michelbacher/10249 [Zugriff: 29.05.2024].

Patrick Charell: David Einhorn. Rabbiner und Abolitionist in den USA. In: Haus der Bayerischen Geschichte (Hg): Digitale Plattform „Jüdisches Leben in Bayern“. Online unter: https://hdbg.eu/biografien/detail/david-einhorn/3914 [Zugriff: 29.05.2024].

Patrick Charell: Bernhard Henry (Baruch Hirsch) Gotthelf. Schochet, Chasan und Rabbiner in den USA, Militärrabbiner der Union. In: Haus der Bayerischen Geschichte (Hg): Digitale Plattform „Jüdisches Leben in Bayern“. Online unter: https://hdbg.eu/biografien/detail/bernhard-henry-baruch-hirsch-gotthelf/10244 [Zugriff: 29.05.2024].

Patrick Charell: Maximilian Joseph Michelbacher. Rabbiner in den USA, Militärrabbiner der Konföderation. In: Haus der Bayerischen Geschichte (Hg): Digitale Plattform „Jüdisches Leben in Bayern“. Online unter: https://hdbg.eu/biografien/detail/maximilian-joseph-michelbacher/10249 [Zugriff: 29.05.2024].

Karin Eben: Einführungstext - 18. Jahrhundert bis um 1830. In: Haus der Bayerischen Geschichte (Hg): Digitale Plattform „Jüdisches Leben in Bayern“. Online unter: https://hdbg.eu/juedisches_leben/einfuehrungstexte/18-jhdt-bis-ca-1830 [Zugriff: 29.05.2024].

Bethanne Kelly Patrick / Jennifer Brody / David B. Green: Jacob Frankel: US Army’s First Jewish Military Chaplain. In: Huntington Jewish Center Bulletin Service, September 2017. Online unter: https://hjcny.org/wp-content/uploads/2017/08/Jacob-Frankel.pdf [Zugriff: 29.05.2024].

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