„Das war doch gar keine richtige Schule…!“

Über gute Ideen und viele Missverständnisse bei der Bewahrung des kulturellen Erbes. Ein Beitrag von Kreisheimatpflegerin Annette Schäfer M.A., Markt Hirschaid.

Seit Jahrzehnten steht das kleine Haus in der Nürnberger Straße 12 in Hirschaid (Landkreis Bamberg) leer und verfällt zunehmend. Die einen nehmen es kaum wahr, andere empfinden es als Ärgernis und Schandfleck, doch für so Manchen ist es ein wichtiges Zeugnis der Ortsgeschichte und daher eine gesellschaftliche Verpflichtung. Gebaut als Wohnhaus eines wohlhabenden Handwerkers oder Händlers im frühen 16. Jahrhundert, wurde es zwischen 1883 und 1938 als Schule und Lehrerwohnhaus der einstigen jüdischen Gemeinde genutzt.

Die ehemalige jüdische Schule in der Nürnberger Straße in Hirschaid. Foto: Annette Schäfer.

Das im Ort gemeinhin als „Judenschule“ bezeichnete Gebäude konnte vor einigen Jahren durch eine dendrochronologische Untersuchung des Unterzugbalkens im Erdgeschoss in das Jahr 1517 datiert werden. Hinweise auf eine Bohlenstube zeigen, dass seine Erbauer die finanziellen Mittel hatten, sich diesen Wohnkomfort zu leisten. Über die Jahrhunderte blieb es ein Wohnhaus, über Bewohner und Nutzung ist wenig bekannt. Um 1850 gab es eine tiefgreifende Umbauphase, in der es aufgestockt und die Fassade verändert wurde.

Um 1880 tauschte die jüdische Gemeinde Hirschaid ein Haus am südlichen Ortsrand mit dem Gebäude. Die Lage bot sich an, denn es stand direkt gegenüber der 1851 errichteten Synagoge. Es wurden eine jüdische Religionsschule und eine Lehrerwohnung eingerichtet. In einem Anbau fanden ein Schulraum und eine Mikwe Platz. Für die Mikwe gab es auch eine Umkleide, von der aus der Baderaum beheizt werden konnte.

Im Anbau des einstigen Schulhauses befindet sich eine Mikwe. Foto: Annette Schäfer.

Erster Lehrer war ab 1883 Abraham Rau (1863-1928). 1903 wurde die bisher reine Religionsschule in eine israelitische Elementarschule umgewandelt, doch danach nahm die Zahl der Schüler immer mehr ab, so dass 1924 die Elementarschule aufgegeben und wieder in eine reine Religionsschule umgewandelt wurde. Ab diesem Jahr war Vorsänger David Kahn Lehrer an der Schule. Er wohnte mit seiner Frau Carry und der 1931 geborenen Tochter Frieda im Schulgebäude.

Nach der Reichspogromnacht 1938 musste die Familie Kahn ausziehen, alle drei wurden 1942 nach Polen deportiert und ermordet. Das Gebäude fiel an die politische Gemeinde Hirschaid, der Verkauf fand am 4. Mai 1939 statt. Danach diente das Haus als BDM-Heim. Es blieb auch nach dem Krieg im Besitz der Marktgemeinde Hirschaid, bis es zu Beginn der 1980er Jahre an den benachbarten Landwirt im Tausch gegen ein Grundstück, das zum Bau eines Möbelhauses benötigt wurde, übereignet wurde. Es fungierte als Wohnhaus mit zwei Mietwohnungen. Im Jahr 2014 hat sich die Möglichkeit ergeben, das Gebäude zurückzutauschen und wieder in den Besitz der Marktgemeinde zu bringen. Das einsturzgefährdete Dach samt Dachstuhl wurde 2017 saniert, die dabei geborgenen Alltagsgegenstände nach Veitshöchheim ausgelagert. Zusammen mit Schülerinnen und Schülern der Realschule wurden Stolpersteine zum Gedenken an die Familie Kahn verlegt.

Stolpersteine für die letzten jüdischen Bewohner des Hauses: Lehrer David Kahn, seine Frau Carry und die Tochter Frieda. Foto: Annette Schäfer.

Über das weitere Schicksal des Bauwerks wird in der Gemeinde seit Langem diskutiert. Schon in den 1990er Jahren hatten sich der damalige katholische und der evangelische Geistliche dafür eingesetzt, das Haus zu sanieren, eine Dokumentationsstätte einzurichten und die jüdische Geschichte darin sichtbar zu machen. Ein entsprechendes Sanierungs- und Nutzungskonzept hat das Sachgebiet Kultur in der Gemeindeverwaltung vor einigen Jahren verfasst und zahlreichen Fördermittelgebern bereits vorgestellt. Woran es indes scheitert, ist die grundsätzliche Willenserklärung der kommunalen Gremien. Trotz mehrerer Anläufe in den vergangenen Jahren konnte der Marktgemeinderat noch keine belastbare Entscheidung treffen.

Hier dreht sich das Verfahren nun im Kreis: der Marktgemeinderat möchte angesichts zahlreicher anderer finanzieller Kraftakte ohne konkrete Zusagen der Zuschussgeber über die Höhe der Zuwendungen keine Grundsatzentscheidung treffen, die staatlichen Stellen und Stiftungen aber erst eben jene Entscheidung herbeigeführt wissen, um sich über Geldbeträge zu äußern. Dazwischen stehen zahlreiche engagierte Bürgerinnen und Bürger, die sich um das jüdische Erbe der Gemeinde Hirschaid sorgen und der Verein Kunst- und Kulturbühne Hirschaid e.V., der die bürgerschaftlichen Bemühungen bündeln will.

Problematisch auch das oft mangelhafte Wissen in der Öffentlichkeit über die jüdische Vergangenheit und insbesondere über Erziehung und Kultus. Das sei doch gar keine richtige Schule gewesen, sondern „nur eine Sonntagsschule“ war schon zu hören. Man solle die Geschichte des Hauses nicht nur auf die 55 Jahre der jüdischen Nutzung herunterbrechen (was im Nutzungskonzept auch gar nicht vorgesehen ist), und überhaupt seien eine Sanierung und eine museale Nutzung nicht im Sinne der Bürgerschaft, da es lieber ein Haus für Vereine und Jugendgruppen werden solle. Sogar die Translozierung der Mikwe in ein Freilichtmuseum und der anschließende Abriss des eingetragenen Denkmals war schon ein Vorschlag. Eine Umfrage unter den Interessierten anlässlich des Tages des Offenen Denkmals 2023 spricht eine andere Sprache: fast alle Reaktionen zielen auf eine öffentliche Zugänglichkeit mit einer Dokumentation jüdischen Lebens ab.

Dazu kommt, dass der Werkkomplex „Letters from my grandparents“ der israelischen Künstlerin Ruth Schreiber, deren Großtanten die Hirschaider Schule besuchten, dem Markt Hirschaid überlassen wird, wenn die Zeichnungen und Skulpturen im ehemaligen Schulgebäude ausgestellt werden. Eine große Verpflichtung.

Werke der Künstlerin Ruth Schreiber, die dereinst im Gebäude gezeigt werden sollen. Foto: Annette Schäfer.

Die ehemalige jüdische Schule in Hirschaid ist ein Sinnbild geworden für den schwierigen Umgang mit jüdischer Geschichte, mit schwindenden kommunalen Finanzmitteln und mit ungeliebten Denkmälern im Allgemeinen. Eine Lösung ist momentan nicht in Sicht, die anstehende Aufgabe ist vornehmlich, das Bewusstsein in der Öffentlichkeit zu stärken und die Bevölkerung zu sensibilisieren. Währenddessen verrinnt die Zeit, und das kleine Haus mit seiner langen und herausragenden Historie ist der Witterung preisgegeben.

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